Das 1949 gegründete Familienunternehmen Kartell zählt zu den großen Adressen der Design-Welt. Die Marke ist global vernetzt – die Produkte sind fast in jedem Land dieser Erde zu finden. Und als Einrichtungs-Editeur arbeitet Kartell mit vielen internationalen Designern zusammen. Doch die Verortung in Mailand ist für Kartell und die Familie Luti Bestimmung. Im Interview mit Home.Made.Storys. sprach Marketing-Direktorin Lorenza Luti auf dem Salone del Mobile über die Magie der lombardischen Metropole.
Home.Made.Storys.: Frau Luti, wie fühlt es sich an, nach zwei Pandemie-Jahren das große Salone-Jubiläum zu begehen?
Lorenza Luti: Wir sind so glücklich wieder hier zu sein. Es ist wieder die große internationale Design-Plattform, die wir alle lieben. Die Unternehmen, die hier ausstellen, haben sich kräftig ins Zeug gelegt, um sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Es freut mich sehr, so viele Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen, denn ich habe viele von ihnen seit langer Zeit nicht mehr persönlich getroffen. Dieser Salone fühlt sich großartig an. Er leitet für uns den Beginn des Sommers ein – auch im übertragenden Sinn nach der Pandemie.
Home.Made.Storys.: Wie sehr hat Kartell in den letzten zwei Jahren davon profitiert, dass die Welt sich zuhause eingerichtet hat?
Lorenza Luti: Ja, das war in der Tat so, wir konnten im vergangenen Geschäftsjahr das beste Ergebnis in der Geschichte des Unternehmens erreichen und sind erstmals über die 100-Millionen-Euro-Umsatzhürde gesprungen.
Home.Made.Storys.: Wie sieht das Geschäft aktuell aus?
Lorenza Luti: Auch die ersten drei Monate des Jahres 2022 waren wirtschaftlich vielversprechend. Danach war es dann verhalten, weil uns die Supply Chains und die Preisteigerungen in allen Bereichen das Leben gerade nicht einfach machen. Normalerweise sind wir sehr schnell in unseren Prozessen, aber momentan werden wir an vielen Stellen ausgebremst. Aber wir sind grundsätzlich gut und vertrieblich breit aufgestellt. Wir verkaufen Möbel in 140 Ländern, 75 bis 80 Prozent unseren Umsatzes generieren wir im Ausland.
Home.Made.Storys.: Wenn Sie so global agieren – beobachten Sie gerade Unterschiede in der Konsumlaune? Auch in Bezug auf die Kriegbetroffenheit?
Lorenza Luti: Ja, die gibt es, aber wir stellen dennoch eine generelle Konsumzurückhaltung fest. Spannend wird es dann nach dem Sommer, wenn der Markt in der Regel wieder anzieht. Für uns sind die Monate von September bis Dezember die wichtigsten, wenn es Richtung Weihnachten geht.
Home.Made.Storys.: Das sind dann auch die Monate, in denen Ihre Messe-Neuheiten in den Stores landen?
Lorenza Luti: Nein, das ist längst nicht mehr so statisch wie früher, denn wir launchen jeden Monat neue Produkte. Wir agieren in dieser Hinsicht eher wie ein Modeunternehmen. So schaffen wir immer wieder einen spannenden Mix aus Klassikern und neuen Produkten. Jetzt bringen wir wieder ein paar neue Produkte in den Handel, im September zeigen wir dann ein neues Sofa und im Dezember beginnen wir dann wieder damit, auch Outdoor-Möbel zu zeigen. So können wir die Kunden immer wieder am POS überraschen. Das funktioniert allerdings nur, weil wir ganz eng mit unseren Partner zusammenarbeiten, was das Flächen-Management betrifft.
Home.Made.Storys.: Sie arbeiten mit ganz unterschiedlichen Handelsformaten zusammen, nicht wahr?
Lorenza Luti: Das stimmt. Kartell ist in vielen Multi-Brand-Stores vertreten. Der Schwerpunkt liegt aber auf den 600 Shop-in-Shop-Konzepten und unseren eigenen 80 Monobrand und Flagship Stores, die wir betreiben. Wir merken: Je mehr Kontrolle wir über die Flächen haben, desto erfolgreicher sind sie.
Home.Made.Storys.: Welche Märkte sind die wichtigsten für Kartell?
Lorenza Luti: Italien steht für etwa 20 Prozent des Umsatzes. Die USA sind wichtig für uns Frankreich ist traditionell sehr stark. Die Franzosen haben fantastische Stores und die Händler und Inneneinrichter haben den italienischen Labels schon sehr früh eine Bühne geboten. Entscheidend war in den letzten 15 Jahren aber die hohe Qualität der Stores. Die ist in Frankreich besser als in Italien.
Home.Made.Storys.: Und wie sieht es in Deutschland aus?
Lorenza Luti: Die dezentrale Struktur macht es uns in Deutschkand etwas schwerer als in anderen Ländern. Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln, München und und und. In Frankreich ist in Paris schon ein großen Teil der Kaufkraft des Landes gebunden, die man abschöpfen kann.
Und die Kommunikation müssen wir noch etwas schärfen. Wir müssen den Deutschen erklären, wofür Kartell heute steht. Zu oft sind nur die Bestseller bekannt und nicht unsere ganze Backlist.
Wir haben gerade unsere Stores in Köln und Düsseldorf wiedereröffnet und wir wollen gern so schnell wie möglich ein Geschäft in Berlin eröffnen. Ich denke, das werden wir im Frühjahr 2023 hinbekommen. Und in München haben wir einen kleinen Store, den wir gern noch vergrößern möchten. Es gibt in Deutschland also noch viel zu tun.
Auch der E-Commerce ist in Deutschland im internationalen Vergleich sehr weit entwickelt, was uns mit unseren ikonografischen Produkten in die Karten spielt.
Home.Made.Storys.: Haben Sie ein Lieblingsstück von Kartell?
Lorenza Luti: Das ist wirklich schwer zu sagen, weil jedes Design für mich eine Geschichte erzählt. Als ich bei Kartell begonnen habe, befanden wir uns gerade in der Phase der Transparenz. Die Produkte aus dieser Epoche haben schon eine sehr große Bedeutung für mich.
Home.Made.Storys.: Obwohl Kartell global agiert – wie italienisch ist die Marke?
Lorenza Luti: Wir sind sehr stolz darauf, dass wir noch immer in Italien produzieren. Aber wir betrachten das Ganze sogar noch regionaler. Wir sprechen in unserem Fall oft von Made in Milan, denn tatsächlich spielen sich alle wesentlichen Prozesse und Projekte hier ab. Unsere Vorlieferanten kommen zum großen Teil aus dem Norden Italiens. Unser Fimensitz liegt 10 km vom Messegelände entfernt und dort haben wir auch unser Marken-Museum eingerichtet. In der Metropolregion Mailand ist unsere Kultur begründet und von hier ausgehend sind wir mit der ganzen Design-Welt vernetzt. Die Designer, mit denen wir zusammen arbeiten kommen aus allen Ecken der Welt zu uns und wir finden für ihre Entwürfe eine italienische Lösung. Ganz klar: Kartell wird von der Magie Mailands getragen.
Home.Made.Storys.: Sind Sie ein Kind Mailands?
Lorenza Luti: Ja, ich bin in Mailand aufgewachsen. Als ich in die Firma eingestiegen bin, habe ich eine Zeitlang in Paris gelebt. Aber ich voll und ganz Mailänderin.
Home.Made.Storys.: Dann haben Sie die ganze rasante Entwicklung Mailands miterlebt. Mit der Expo 2015 hat sich diese Entwicklung noch einmal beschleunigt.
Lorenza Luti: Das ist wahr. Das Tempo der Stadtentwicklung hat enorm zugenommen. Jedes Jahr gibt es ein weiteres großes Projekt. Die Fondazione Prada hat ein völlig neues Viertel erschaffen – ein echter Bilbao-Effekt. Das „Citylife“-Areal ist atemberaubend. Und die Stadt wird langsam aber sicher auch grüner.
Wir haben in Europa in vielen Städten gesehen, dass Bürgermeister:innen etwas bewegen können. Giuseppe Sala ist seit 2016 im Amt und verändert hier sehr viel. Er hat ein offenes Ohr für die kreativen Industrien, die in der Stadt bekanntermaßen eine wichtige Rolle spielen. Daraus entsteht Dynamik.
Home.Made.Storys.: Wie hat die Kreativ-Gesellschaft während der Pandemie zusammengehalten?
Lorenza Luti: Das hat über Zoom & Co gut funktioniert. Aber ich glaube schon an die Bedeutung des Ortes. Unser Head Office ist ein sehr größzügiges Gebäude mit vielen grünen Außenflächen. Deshalb waren wir auch während der Pandemie eher in der Firma als im Homeoffice. Zwar nicht in voller Besetzung, aber unsere Zentrale war nie ein verwaistes Gebäude. Viele unser 150 Mitarbeitenden sind sehr gern in die Firma gekommen, um ihren Teil in einer Ausnahmesituation beizutragen.
Home.Made.Storys.: Und wie war das Leben in Mailand während der Lockdowns?
Lorenza Luti: Das war wirklich schrecklich. Denn Sie wissen ja, dass Mailand eine der am stärksten von der Pandemie betroffenenen Metropolen gewesen ist und dass deshalb auch die Lockdowns sehr strikt gewesen sind. Mailand war still. Ein irritierender Zustand dieser Stadt. Aber wir wussten, dass es notwendig gewesen ist und haben deshalb auch diese Zeit durchgestanden. Wollen wir hoffen, dass Mailand so schnell nicht wieder zu einer Geisterstadt wird.
Home.Made.Storys.: Der Salone ist also ein echter Restart für Mailand.
Lorenza Luti: Ja, unbedingt. Die Fashion-Shows erfassen längst nicht in dem Maße die ganze Stadt, denn sie spielen sich nur in den entsprechenden Stadtvierteln ab. Wenn der Salone in der Stadt ist, wird er von der ganzen Stadt gelebt. Hotels, Restaurants, alle fiebern diesem Ereignis entgegegen. Alle sind sich nun noch deutlicher darüber bewusst – auf Italienisch sagen wir „consapevole“, dass der Salone und alles, was damit zusammenhängt, etwas Einzigartiges ist.